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Ludwig Schneider
Deutscher Politiker und Botaniker
(* 26.06.1809 in Sudenburg; † 09.02.1889 in Schönebeck)
Leben:
Zum Gedächtnis Eduard Karl Ludwig Schneider's von Chr. Wilh. Ebeling. Eduard Carl Ludwig Schneider wurde im Jahre 1809 am 26. Juni in 'Sudenburg-Magdeburg als fünftes Kind des Cichorienfabrikanten Johann Heinrich Schneider und dessen Ehefrau Sara Susanne Johanne, geb. Zinke, geboren. Seine Knabenjahre fallen also in die Zeit der Niederwerfung Preussens und mächtigen, wunderbaren Erhebung zur Befreiung von dem französischen Joche. Im Alter von 9 Monaten, am 22. April 1810, verlor der Knabe den Vater am Typhus; am 30. November 1812, als Ludwig 3 1/2 Jahre alt geworden war, starb auch die Mutter am Scharlachfieber. Unter den Augen seines Onkels, des durch mehrere bedeutende Stiftungen wohl bekannten Peter Zinke, welcher die Fabrik verwaltete, und dessen spätere Frau Sophie, geb. Naumann, welche dem Ludwig eine zweite Mutter war, wuchs er auf dem väterlichen Besitzthume auf. Im Herbst 1814 kam er in die Sudenburger Elementarschule, in der der lebendige, zugleich hübsche Junge sich bald hervorthat, so dass er Ostern 1817 auf dem hiesigen Gymnasium angemeldet werden konnte. Eine unbedeutende Unvollkommenheit im Schreiben hinderte seine sofortige Aufnahme. Da er nicht in die Sudenburger Schule zurückkehren wollte, wurde er der allerdings sehr schlecht geleiteten Vorbereitungsschule überwiesen
auf der er dann auch so wenig vorwärts schritt, dass er nach dreijährigem Besuch derselben nur gerade die Reife für die Unter-Quinta des Klosters U. L. Fr. hatte, in die er mit ca. 11 Jahren Ostern 1820 eintrat. Inzwischen war er Ostern 1818 in Magdeburg in Pension gegeben bei einer äusserst despotischen, gefühllosen Verwandten, welche den bis dahin ungebundenen Knaben in die engsten Fesseln des Geistes und des Körpers einzwängte. Die Schule war ihm in Folge dieses häuslichen barbarischen Zwanges ein Tummelplatz der Freiheit; von Arbeiten war nicht die Rede. So blieb er mehr und mehr zurück und als er 1824 aus der Pension fortgelaufen, wieder nach dem väterlichen Hause in der Sudenburg zurückkehrte, führte er da draussen ein freies Leben, ohne in der Schule auch nur das Ge- ringste zu leisten. Trotzdem wurde er nach und nach bis zur Unter-Secunda hinaufgeschoben, ohne auch nur die Kenntnisse eines jetzigen guten Quartaners zu besitzen. Da wurde es aber unter dem Einfluss des sehr tüchtigen Ordinarius von Secunda dem lieben Schneider mit einem male klar, dass es in der bisherigen fröhlichen, aber arbeitslosen Weise nicht weiter gehen könne. Gewaltsam raffte er sich auf, verliess die Klosterschule und ging am 1. August 1828 zu dem Pastor Schwarz, seinem früheren Klosterlehrer nach dem benachbarten Dorfe Altenweddingen, um unter dessen Leitung das Versäumte nachzuholen. Dank der trefflichen Methode des wackeren Lehrers und bei rastlosem Eifer seines Pflegebefohlenen bewältigte dieser innerhalb der verhältnissmässig kurzen Zeit von 3/4 Jahren die ganzen Lehrstoffe der Klosterschule und gewann die Reife für das Abgangsexamen. Seine früheren Lehrer riethen Schneider, dass er, wie in jener Zeit gestattet, sofort sein Abiturienten- examen bei einer Universität machen und das Reifezeugnis erwerben möchte. Indessen Schneider setzte seine Ehre darin, an der Schulanstalt, deren Lehrer ihn immer für den unfähigsten und faulsten erklärt hatten, die Abgangsprüfung
zu bestehen. Schneider hatte unter Schwarz die alten Sprachen besonders lieb gewonnen und beabsichtigte in Folge dessen Philologie zu studiren. Als Pastor Schwarz nach Jena übersiedelte, ging Schneider in die Pension des hochgeschätzten Professors Pax, um noch ein Jahr die Prima des Klosters zu besuchen. Ostern 1830 bestand er dann hier die Abgangsprüfung mit Auszeichnung und bezog gleich darauf die Universität Berlin, wo er sich aber nicht den Sprachen, sondern seiner früheren Absicht und dem Wunsche seiner Verwandten gemäss, dem juristischen Studium widmete. Von Ostern 1831 bis zum Herbst 1832 studirte er in Jena und gehörte der Burschenschaft "Arminia" an, deren Schriftfahrer er war. Vom September 1832 bis ebendahin 1833 genügte er seiner Militärpflicht und diente beim zweiten Garde-Ulanenregiment zu Berlin sein Jahr ab. Am 20. December 1833 bestand er in Magde- burg das Auscultatorezamen, wonach er am 24 Januar 1834 als Auscultator bei dem königlichen Oberlandesgerichte hier- selbst eintrat. Im Sommer 1834 machte er zur Kräftigung seiner von den letzten Schuljahren her sehr angegriffenen Gesundheit auf 1 1/2 Jahr eine Reise durch die Schweiz und Italien, welche er ausführlich beschrieben und noch in seinen Leidenstagen bruchstückweise vorgelesen hat. Nach Hause zurückgekehrt, wurde er wegen seiner Theilnahme an der Burschenschaft in jener Zeit der Demagogenverfolgung in eine Criminaluntersuchung verwickelt und Ende des Jahres 1836 zu Cassation und Wiederanstellungsunfähigkeit verurtheilt. In Folge dessen war er bis zum 19. October 1829 ausser Amt, an welchem Tage er auf Grund eines günstig aufgenommenen Begnadigungsgesuches beim könig- lichen Landgerichte zu Berlin wieder eingeführt wurde. Die Zwischenzeit hatte er benutzt, um eifrig Naturwissen- schaften zu studiren. Im Winter 1836—37 hörte er bei Kunth in Berlin Botanik und im Sommer 1837 durchstreifte er zum ersten male botanisirend die Umgegend von Berlin.
Auf einer solchen botanischen Excursion lernte er in Gatho die Schwester seines Jugendfreundes Holthoff kennen. Am 23. Mai 1840 bestand er die Prüfung als Keferendar; fünf Tage später schon (28. Mai) führte er das liebliche Mädchen als Frau heim. Aus dem Justizdienste entlassen, ging er an die Rogierung zu Erfurt, wo er am 13. November 1840 als Regierungsreferendar vereidigt wurde. Hier, in der alten Gärtnerstadt, verlebte er zwei Jahre der glücklichsten Ehe, in der ihm zwei Söhne geboren wurden. Da traf den so Glücklichen jähe der härteste Schlag seines Lebens. Seine heissgeliebte Gattin riss der unerbittliche Tod von ihm und den Söhnen. Seine Liebe zu der Verblichenen nahm die Form eines Cultus an. Ich habe nach der Frist von wenigen Wochen den Kranz, welcher das schöne Bild der Frau umgab), Decennien hindurch erneuert gefunden. Am Geburts- oder Sterbetage fuhr alljährlich Schneider nach Erfurt, um am Grabe der Gattin eine Stunde zu verweilen. Die letzten Reste ihrer Gebeine und ein Lieblingsschmuck sind ihm, dem Treuesten der Treuen, mit in den Sarg gelegt. Im Begriff, sich zu dem grossen Staatsexamen vor- zubereiten, wurde er am 8. November 1843 in Schöne- beck zum Bürgermeister gewählt und am 5. Juni 1844 als solcher eingeführt. Bis zum Jahre 1856 hat er an der Spitze der dortigen städtischen Verwaltung gestanden und mit unermüdlicher Berufstreue seines Amtes ge- wartet. Seinem grossartigen Organisationstalent , seiner Initiative verdankt unsere freundliche Nachbarstadt, der sein Herz gehörte, segensreiche Schöpfungen der mannig- faltigsten Art. Durch seinen offenen, biederen Charakter, durch seinen streng reehtlichen Sinn, durch die freund- liche Herzinnigkeit seines edlen Wesens erwarb er sich in der Bewohnerschaft eine Liebe und Verehrung, wie sie nur wenigen Sterblichen zu Theil wird. Sein Name wird in der Geschichte der Stadt, um die er sich so seltene und grosse Verdienste erworben hat,
einen hervorragenden Platz einnehmen und sie wird ihm unwandelbar ein dankbares Andenken bewahren. Wahrend seiner amtlichen Wirksamkeit als Bürgermeister in Schöne- beck, in der Sturm- und Drangperiode unseres deutschen Vaterlandes, war Schneider wiederholt ein beachtetes Mit- glied der preussischen parlamentarischen Vertretungen. Im Jahre 1847 wurde Schneider durch allgemeines Vertrauen für die Städte Burg, Calbe a. d. S. und Schönebeck in den vereinigten Landtag gewählt und war hier im frei- heitlichen Geiste thätig. Im Jahre 1848 war er Mitglied der preussischen constituirenden Nationalversammlung in Berlin für den landräthlichen Kreis Calbe, wo er dem linken Centrum angehörte. Denselben Kreis vertrat er auch 1849 in der zweiten Kammer, während der Stadt- und Landgerichtsrath Immermann -Gr. -Salze, ein Bruder des Dichters Immermann, das Mandat für Aschersleben erhalten hatte. Nach kurzer Session wurde, wie bekannt, die Kammer aufgelöst. Als Schneider heimkehrte, wurde ihm von der Bürgerschaft Schönebecks ein grossartiger Fackel- zug gebracht. Während seiner parlamentarischen Thätigkeit in den Jahren 1848 und 1849 und während seiner darauf folgenden 3/4-jährigen Amtssuspension vertrat ihn in seinem Amte ausser dem tüchtigen Stadtsecretär Käsebier, der Dr. Erich. Diese vom Juli 1848 bis 15. Mai 1850 dauernde Amtssuspension, angeblich wegen Majestätsbeleidigung und Aufruhrstiftung, benutzte Schneider ausschliesslich zum Studium der Botanik und zur Erforschung der heimatlichen Flora, der er von da ab treu geblieben ist bis an sein Ende. Als er nach Ablauf seiner Wahlzeit als Bürger- meister trotz einstimmiger Wiederwahl am 4. Juni 1856 und bis an den König gerichteter Vorstellungen von der vorgesetzten Dienstbehörde nicht wieder bestätigt wurde, verliess Schneider unter den herzlichsten Dankeserweisungen und Ueberreichung sinniger und werthvoller Geschenke Schönebeck und übersiedelte für ein Jahr nach der Suden-
burg. Hier widmete er sich gänzlich der lieblichen botanischen Wissenschaft, der Erziehung und dem Unter- richt seiner Söhne. Ostern 1858 ging er im Interesse seiner Söhne wegen gründlicher Erlernung der französischen Sprache an den Genfer See, wo er zwei Jahre verblieb, in fleissigster Weise botanisirte und reichlich die wunderherr- lichen Schätze der alpinen Regionen einheimste. Zwei Jahre später, erfolgt die Rückkehr des Vaters und der inzwischen körperlich wie geistig entwickelten Söhne nach der Suden- burg. Im Herbst 1861 übersiedelte er nach Berlin und vertritt während der Conflictszeit als Abgeordneter von 1861 bis 1866 den Kreis Wanzleben, sich der Fortschrittspartei anschliessend. In allen Fragen der Gemeindeverwaltungen, insbesondere der Städteordnung, fanden Schneiders Dar- legungen und Vorschläge stets allgemeinste Beachtung und Zustimmung. In den Jahren 1864 — 1869 war der frühere Bürgermeister mit grossem Erfolg Stadtverordneter in Berlin. Bei seinem Weggange aus der Residenz behufs Übersiedelung nach Zerbst widmete ihm das Stadtver- Ordnetencollegium ein künstlerisch ausgeführtes Album, eine besondere Auszeichnung, die Schneider im hohen Grade zur Freude gereichte. In Zerbst wurde er bald zum Vor- sitzenden des dortigen Naturwissenschaftlichen Vereins gewählt. Als solcher hat er einen überaus förderlichen Einfluss geübt, wie der warme Nachruf des Herrn Archivraths Professor Kindscher in der Magdeburger Zeitung vom 14. Februar bekundete. Während seines Aufenthalts in Zerbst theilte er das Magdeburger Flora- gebiet, den gewaltigen Zirkel vom Fläming im Osten bis gegen Halberstadt im Westen, vom Beginne Anhalts im Süden, unterhalb Wittenberg, bis gegen Tangermünde im Norden in 18 Bezirke, die nun seinerseits aller Orten und zu den verschiedensten Vegetationszeiten systematisch erforscht werden. Die Excursionen begannen mit dem Auf- gehen der ersten Blütensterne im Lenzmond und endeten
erst mit dem Verglimmen der letzten Zeitlosen und Astern im Herbstbeginn. Mit welcher ausnehmenden Liebe, mit welcher bewundernswürdigen Ausdauer er sich der seit 1843 schon gestellten Aufgabe jetzt unterzog, vermögen nur diejenigen ganz zu beurtheilen, die seiner rastlosen Thätig- keit gefolgt sind und ihn öfter auf seinen Excursionen begleitet haben: Ascherson, Banse, Bölte, Engel, Deicke, Hartmann, Kummer, Maass, Schulz, M. Schulze, Preussing, Torges u. A. Im Jahre^ 1874 erschien der erste Theil seines Buches, die Grund- Züge der Botanik, 1877 der zweite Theil, die Magde- burger Flora, Üebersicht der gesammten phanerogamischen Pflanzenschätze des bezeichneten Gebietes. Schneiders Flora ist nach Anlage und Ausführung meisterlich gelungen, und dürfte wohl Handreichungen ähnlicher Art übertreffen» Im Jahre 1878, nach Wiederherstellung von längerer Krankheit, siedelte er wieder nach Schönebeck über und nahm im Hause seines Sohnes Wohnung. Auch hier nahm er seine Excursionen wieder auf, auf denen ihn nun schon gelegentlich seine Enkel begleiteten. Im Jahre 1883 war er als einer der ältesten Senioren Theilnehmer des grossen Burschenschafterfestes der Arminia in Jena. Zwei Jahre später bekundete er sein Interesse an dem Gedeihen der freisinnigen Partei durch sein Erscheinen auf einer grossen Versammlung seiner Gesinnungsgenossen hier in Magdeburg. Von 1884—1889 im Januar war er auch Ehrenmitglied des Verschönerungsvereins in Schönebeck und bekleidete da» Ehrenamt eines Friedhofsvorstehers. Der Gottesacker wie alle Anlagen der Stadt bekunden die segensreiche Thätig- keit des bestellten Verwalters. Die städtische Behörde schenkte dem treuen und rastlos thätigen Pfleger und Verschönerer des Friedhofs daselbst eine Grabstätte rechter Hand am Eingangsthore, durch welches er so oft geschritten war. Am 7. Februar 1888 an einer sehr schweren Lungenentzündung erkrankt, half ihm seine sehr
zähe Natur wunderbarer Weise die gefährliche Krankheit zu überwinden, aber seine Kraft war gebrochen, er siechte täglich mehr und mehr dahin. Dem trüben Sommer folgte ein noch trüberer Winter. Seit Weihnachten des ver- gangenen Jahres, verliess er das Bett nur, um für einige Zeit auf das Sopha getragen zu werden. Die Körperkräfte sanken von Stunde zu Stunde, während der klare Geist sich täglich mehr nach endlicher Befreiung aus dem quälenden Zustande namenloser Schwäche sehnte. So kam ihm der Tod am 9. Februar, Nachmittags 9 1/4 Uhr, als Erlöser. Das Leichenbegängniss am Nachmittag des 14. Februar gab Zeugniss von der allgemeinen Verehrung und Liebe des herrlichen Mannes. Im Studierzimmer stand der Sarg, der den Entschlafenen umschloss. Kaum zu bergen vermochte man die Fülle der Kränze und Palmenwedel, welche von Freunden, Vereinen und Gesinnungsgenossen eingetroffen waren, um ihre Theilnahme zu bezeugen. Hinter einem kleinen Hag von Lorbeerbäumen sang die Currende einige Strophen des Chorals: Jesus meine Zuversicht. Der erste Geistliche sprach in tief empfundener Weise unter steter geistvoller Anwendung auf den Lebensgang des Ent- schlafenen, über das Textwort: „Ihr habt Angst in dieser Welt; fürchtet euch nicht, ich habe die Welt überwunden." Bei dem Aufhub des von duftigem Blumenwerk, Rosen, Veilchen, Maiglöckchen, Kränzen und Palmenwedeln ganz verdeckten Sarges begann das schöne Geläut der Stadt- kirche, und unter den Klängen der Lieblingsweise des Verblichenen: Wie schön leuchtet uns der Morgenstern, sank Ludwig Schneider's sterbliche Hülle in die Gruft.