Die Industrie- und Firmengeschichte Sudenburgs
Mit der Deutschen Vereinigung 1990 kamen auch auf Sudenburg
einschneidende Veänderungen zu. Was Bautätigkeit und
Infrastrukturmaßnahmen anging, lief der "Aufbau Ost" in Sudenburg
zügig an. Das Straßenbild begann sich schnell zum positiven
zu verändern, das Grau der Fassaden verschwand. Viele der
während der DDR-Zeit vernachlässigten Altbauten wurden
aufwändig saniert, die Wohnungen modernisiert. Heute
versprühen diese gründerzeitlichen Gebäude wieder ihren
historischen Charme.
Für die Sudenburger Wirtschaft begann jedoch eine dramatische
Zeit, sie hatte die Umstellung auf die Marktwirtschaft zu verkraften.
Besonders hart traf es die ansässigen Staatsbetriebe und deren
Beschäftigte. Keiner diese Betriebe wird die Umstellung ohne
drastische Einschnitte überstehen, für die meisten kommt
sogar das Aus.
Die Treuhandanstalt
Bereits unter der Modrow-Regierung wurde am 01. März 1990 die
Treuhandanstalt ins Leben gerufen, um die Staatsbetriebe und anderes
Staatseigentum der DDR so schnell wie möglich zu privatisieren.
Neben dem Hauptsitz in Berlin, wurden in allen ehemaligen
DDR-Bezirkshauptstädten Filialen der Treuhandanstalt
eingerichtet.
Zur besseren Vermarktung wurden die Kombinate aufgelöst, um
kleinere Einheiten zu schaffen. Die Betriebe oder herausgetrennte
Betriebsteile wurden nun in eine private Rechtsform überführt
und zum Kauf angeboten. Westliche Konzerne, Glücksritter und
Schäppchenjäger liefen den schlecht ausgestatteten,
unterbesetzten Treuhandfilialen nun die Türen ein, um sich die
Sahnestücke zu sichern. Für rentable erachtete Betriebe
konnten schnell verkauft werden, andere erwiesen sich
erwartungsgemäß als unverkäuflich. Wenn sich für
diese Betriebe keine wirtschaftlich tragfähige Lösung fand,
blieb nichts anderes übrig, als sie "abzugewickeln". Dieses
Schicksal ereilte leider sehr viele Betriebe. Überraschend kam
dies jedoch nicht, den bei einer Bestandsaufnahme der DDR-Betriebe war
bereits im Vorfeld festgestellt worden, dass die durchschnittliche
Produktivität der Ost-Betriebe nur rund 27 % des Westniveaus
betrug und ein Personalüberhang von 15 % bestand.
Gerne wird der Niedergang der Ost-Industrie der Treuhandanstalt
angelastet, doch damit macht man es sich zu einfach. Auch wenn in der
Behörde Fehler gemacht und einige fragwürdige Entscheidungen
getroffen wurden, muss berücksichtigt werden, dass der Erhalt
vieler Betriebe kaum möglich war. Diese hätten sich am Markt
nicht halten können. Die wirkliche Ursache ist in der
Wirtschaftspolitik der SED-Führung zu sehen, die es nicht
vermochte, ihre staatlich gelenkte Planwirtschaft auf Weltmarktniveau
zu halten.
Nicht alle Privatisierungen sind im Rückblick als seriös zu
bezeichnen. Nicht selten kam es vor, dass die Käufer ihre
Neuerwerbung aus Profitgründen ausschlachteten und sie dann in den
Konkurs schickten. Auch ist zu hinterfragen, ob es bei einigen
Betriebskäufen nur um die Übernahme von Patenten und know how
ging, sowie dem Ausschalten möglicher Konkurrenz. Viele der frisch
privatisierten Betriebe wurden bereits nach kurzer Zeit stillgelegt.
Die Durchleuchtung dieses Themenbereichs wird wohl noch lange Zeit ein
spannendes Betätigungsfeld für Historiker sein.
Folgen für die Sudenburger Staatsbetriebe
Für die in Sudenburger gelegenen ehemaligen Staatsbetriebe kam
nach und nach das Aus. Hoffnungen auf die Übernahme und Sanierung
durch westliche Konzerne zerschlugen sich, die Arbeitslosigkeit stieg
stetig an.
Eine erhofften Übernahme des VEB Magdeburger Zuckerraffinerie
"Hermann Danz" (Halberstädter Straße) durch die Firma
Nordzucker zerschlug sich. Der Konzern errichtete stattdessen eine
moderne Raffinerie außerhalb Magdeburgs. Das Ende für den
letzten verbliebenen großen Traditionsbetrieb, gegründet vor
der Eingemeindung Sudenburgs, war gekommen.
Auch für den VEB Starkstrom-Anlagenbau Magdeburg an der
Blankenburger Straße kam das Aus. Ein weiterer Sudenburger
Traditionsstandort (ehem. Maschinenfabrik von Röhrig &
König) wurde zur Industrieruine. Auch die nach 1990 am
Lemsdorferweg 9 neu gegründete AEG Starkstrom-Anlagenbau
Magdeburg GmbH existiert heute nicht mehr.
Mit der Zerschlagung und Abwicklung des VEB Getränkekombinat
Magdeburg kommt auch das Ende für das traditionsreiche, 1882
gegründete Sudenburger Brauhaus (Langer Weg 52), das seit
Mitte der 1970er Jahre jedoch nur noch alkoholfreie Getränke
produziert hatte.
Abgewickelt wurden auch der VEB Brauerei- und Kellereimaschinen
(BKM) in der Fichtestraße. In Nachfolge gründete sich
die BKM Brauerei- und Kellereimaschinen Magdeburg GmbH an der
Sudenburger Wuhne 48a, die sich später in FILLTEC GmbH
umbenannte und den Standort nach Waren (Müritz) verlagerte.
Eine Erfolgsgeschichte ist die Firma FAM (Magdeburger
Förderanlagen und Baumaschinen GmbH), die sich neu
gründete und als Nachfolger der Maschinenfabrik Georg Becker &
Co. angesehen werden kann. FAM ist heute der größte
Arbeitgeber Sudenburgs. Der Firmenhauptsitz der weltweit agierenden
Firma befindet sich noch heute am Traditionsstandort an der Sudenburger
Wuhne.
Wie bereits erwähnt wurden viele Sudenburger nach der deutschen
Vereinigung arbeitslos. Dies war nicht allein Folge der Stillegung der
Sudenburger Betriebe, sondern auch dem Niedergang des Magdeburger
Maschinenbaus geschuldet, der vielen Arbeit geboten hatte. Der wohl
größte Sudenburger Arbeitgeber darf in diesem Zusammenhang
nicht unterschlagen werden: Die Bezirksabteilung des Ministeriums
für Staatssicherheit (MfS) am Kroatenweg. Vor der
Auflösung der Stasi waren dort etwa 3.700 hauptamtliche
Mitarbeiter beschäftigt, wovon ca. 2.000 mit ihren Familien in
Sudenburg lebten.
Hoffnungen auf die Ansiedlung neuer Industriebetriebe zur Nachnutzung
der Gewerbeflächen wurden enttäuscht. Die anhaltend hohe
Arbeitslosigkeit führte auch in Sudenburg zu starker Abwanderung
in die westlichen Bundesländer, was wiederum einen wachsenden
Wohnungsleerstand nach sich zog.
Verwendung und heutiger Zustand der Gewerbeflächen
Einige stillgelegte Betriebe wurden bereits Anfang der 1990er Jahre
abgerissen und die Flächen neu bebaut. Beispiele hierfür sind
die ehemalige Konservenfabrik Drevenstedt (Halberstädter
Straße 40) und das Sudenburger Brauhaus (Langer Weg 52). Erhalten
geblieben sind an beiden Standorten die Villen der ehemaligen
Firmengründer. Viele weitere Standorte ehemaliger Betriebe sind
noch heute (Stand 2014) als Brachflächen im Sudenburger
Straßenbild erkennbar.
Mit der Stillegung der Betriebe an der Brenneckestraße und
der angrenzenden Zuckerraffinerie hatte das Bahnanschlussgleis
ausgedient, das von der Bahnlinie in Buckau abzweigend, entlang der
Salbker Straße und der Brenneckestraße (jeweils Nordseite)
verlief und auf dem Gelände des VEB Zuckerraffinerie "Hermann
Danz" an der Halberstädter Straße endete. Nach der Deutschen
Einheit wurde es stillgelegt und entfernt. Die großen
Betriebsgelände des VEB Chemiehandel und des VEB
Starkstromanlagenbau Magdeburg bargen ein Problem, um das sich vor
der Vereinigung niemand gekümmert hatte. Sie waren durch
Giftstoffe kontaminiert, mit denen dort jahrelang sorglos umgegangen
worden war. Umweltschutz und damit verbunden der Schutz der Gesundheit
der Werktätigen war in der DDR leider kein großes Thema.
Obwohl die Gefährdungslage nun bekannt war, passierte dort die
ersten Jahre so gut wie nichts.
Um das Jahr 2000 wurden viele Gebäude auf dem Gelände des
VEB Starkstromanlagenbau Magdeburg abgerissen. Nur die
inzwischen denkmalgeschützten, aus Ziegelmauerwerk errichteten
Werksgebäude der ehemaligen Maschinenfabrik Röhrig &
König blieben erhalten. Die kontaminierten Flächen wurden
saniert. Die weitgehend ungenutzten Gebäude verfielen jedoch
zusehends. Nach einem Dacheinsturz musste zunächst die ehemalige
Montagehalle abgebrochen werden, die in der DDR-Zeit von den
Magdeburger Verkehrsbetrieben als Werkstatt und Obusdepot genutzt
worden war. Später wurde (trotz Denkmalschutz) der Abrissantrag
einer Vermarktungsgesellschaft genehmigt, die die verbliebenen
Gebäude abreißen ließ. Aus der Vermarktung des
Geländes wurde jedoch nichts.
Heute erinnert dort kaum noch etwas an den traditionsreichen
Industriestandort. Erhalten ist nur noch ein kleines Gebäude an
der Blankenburger Straße, das einen Getränkemarkt beherbergt
und eine erhaltene Fabrikhalle an der Brenneckestraße, direkt am
Magdeburger Ring. Diese Halle wurde lange Jahre von der Firma Franke
Stahlbau genutzt. Auf dem ehemals von der MVB genutzten
Geländeteil hat sich vor wenigen Jahren ein
Gebrauchtwarenhändler angesiedelt, der Rest des Geländes
liegt heute brach.
Das Betriebsgelände des VEB Chemiehandel mit seinen 5
riesigen Lagerhallen erwies sich als tickende Zeitbombe. Nach der
Privatisierung der "Deutschen Handelszentrale Chemie" war er Teil der
"Gubelas GmbH - Lacke und Farben", deren Zentrale in der
Havelstraße (nahe dem Industriehafen) lag. Alleiniger
Gesellschafter der GmbH war die Treuhand, die im April 1994 deren
Liquidierung beschloss. Vier Monate später, im August 1994
berichtete das Magazin "Focus" über die bedrohlichen Zustände
auf dem Gelände. Jahrzehntelang waren dort hochgiftige
Pflanzenschutzmittel, Lösungsmittel und viele andere
gesundheitsschädliche Stoffe umgeschlagen worden, die auch in den
Boden gelangten. Auch nach der Stillegung lagerten weiterhin
große Mengen dieser Gefahrstoffe "unsachgemäß" in den
Hallen. Aus dem vom Liquidator 1994 angekündigten Sanierungbeginn
"in wenigen Wochen" sollten 18 Jahre werden. Die Lagerhallen und
kleineren Betriebsgebäude gammelten in dieser Zeit vor sich hin
und stürzten teilweise in sich zusammen.
Erst 2012 wurde unter großem Aufwand mit der Beräumung und
Sanierung des Geländes begonnen. Die Arbeiter hatten Atemschutz
und Schutzkleidung zu tragen, um den Giften nicht ausgesetzt zu werden.
Der Boden musste metertief ausgekoffert und in geschlossenen
Spezialbehältern abtransportiert werden. Die entstandene tiefe
Grube wurde anschließend mit herangeschafftem Material
verfüllt.
Fortsetzung folgt...
aktualisiert: 11.12.2014
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