Israelitischer Friedhof

Beschreibung

Friedhofsmauer Fermersleber Weg
Das leicht verwitterte Hinweisschild an der Friedhofsmauer.

Der jüdische bzw. Israelitische Friedhof liegt am Fermersleber Weg 45-46, im heutigen Stadtteil "Leipziger Straße". Hier befinden sich auch die beiden Zugänge. Eine direkte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr hat der Friedhof leider nicht. Die nächsten Haltestellen sind:
- "Eiskellerplatz" an der Halberstädter Straße (Linien 3, 10 und Bus 54), zu Fuß über den Lemsdorfer Weg, ca. 800 m,
- "Fermersleber Weg" an der Leipziger Straße (Linien 6 und 8), zu Fuß über den Fermersleber Weg ca. 1.000 m.

Friedhofsmauer Fermersleber Weg
Friedhofsmauer und Eingänge am Fermersleber Weg.

Anders als die christlichen oder städtischen Friedhöfe ist der jüdische nicht täglich zugängig. Der Sabbat (auch Schabbat), im Judentum der siebte Wochentag, ist ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Er beginnt mit Sonnenuntergang am Freitag und endet mit der Dämmerung am Samstag Abend. Die Öffnungszeiten sind daran angepasst. Der Friedhof schließt Freitags bereits am Mittag und bleibt am Samstag geschlossen. Auch ist es vor einem Besuch ratsam, sich über die jüdischen Feiertage zu informieren. An jüdischen und gesetzlichen Feiertagen ist der Friedhof ebenfalls geschlossen.
Tipp: Die Volkshochschule Magdeburg bietet periodisch eine sehr empfehlenswerte Friedhofsführung an.
Auf eine weitere Besonderheit ist dringend hinzuweisen:
Männlichen Besuchern (auch nichtjüdischen!) ist das Betreten des Friedhofs nur mit Kopfbedeckung gestattet.


Öffnungszeiten jüdischer Friedhof   Foto: Hinweisschild Kopfbedeckung

Der heute denkmalgeschützte Friedhof wurde 1816 angelegt und mit einer ersten Bestattung eingeweiht. Wie in der jüdischen Kultur üblich, wurde er außerhalb der Siedlung angelegt. Das für den Begräbnisplatz angekaufte ca. 2 ha große Grundstück lag, umgeben von Feldern, in der Sudenburger Feldmark. Erreicht wurde er über einen noch unbenannten Feldweg, der von der 1812 neu gegründeten Sudenburg zur Chaussee nach Leipzig führte: Dem heutigen Fermersleber Weg.
Für über 100 Jahre änderte sich an dieser Außenlage des Friedhofs nichts. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde mit Anlage der Staßfurter Straße eine Bebauung des nordwestlich gelegenen Areals begonnen. Im Zuge des weiteren Siedlungsausbaus entstand in den 1930er Jahren die Hecklinger Straße, deren Grundstücke an die Friedhofsmauer grenzen. Zuvor (um 1860 und 1912) war es noch gelungen, den Friedhof durch Landzukäufe zu erweitern. Mit der Anlage und Bebauung der Güstener Straße und Innsbrucker Straße ab Ende der 1960er Jahre schloss sich die Bebauung um das Friedhofsgelände. Eine Erweiterung ist somit heute nicht mehr möglich.

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Die Gebäude:

Nahe dem südlichen Eingang befindet sich die Trauerhalle. Das zeitgenössisch als "die Capelle" bezeichnete Gebäude wurde 1864 nach einem Entwurf des Magdeburger Baurates Johann Heinrich L'hermet (1806-1884) erbaut. Für die Außenfassade wurde ein gelbes Ziegelmauerwerk gewählt, das in regelmäßigen Abständen von roten, horizontal verlaufenden Ziegelschichten durchzogen ist. Die Fenster und Türbögen sind in maurischem Stil gestaltet. Markant ist das von schlanken Säulen getragene Eingangsportal im Mittelteil des Gebäudes mit seinen orientalisierenden Spitzbögen. Das Hauptmotiv der Frontansicht, die drei nebeneinander liegenden Bögen, findet sich auch an der Rückseite des Gebäudes. Das Innere der Trauerhalle ist, der jüdischen Begräbniskultur entsprechend, sehr schlicht gehalten.
Links der Trauerhalle befindet sich ein Verwaltungsbereich, der rechte (flachere) Teil wird heute als Urnenhalle genutzt.
Wahrscheinlich um 1900 wurde das Geschoss über dem Verwaltungstrakt umgebaut, um dort eine Aufseherwohnung einzurichten.

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Verwaltungstrakt mit der darüberliegenden Friedhofs-wärterwohnung. Rechts das Eingangsportal.
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Rückansicht der Trauerhalle. Der linke, flachere Gebäudeteil wird heute als Urnenhalle genutzt.

Von Außen kaum erkennbar ist die liebevolle Farbgestaltung der Fensterfront auf der Rückseite der Trauerhalle.

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Außenansicht der rückwärtigen Fenster der Trauerhalle.
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Nur von innen betrachtet kommt die schöne Farbgestaltung der Fenster richtig zur Geltung.

Neben der Trauerhalle befindet sich ein um 1900 entstandenes kleines Leichenhaus. Die Fensterstürze des Gebäudes sind, wie bei der Trauerhalle, als maurische Bögen ausgeführt. Abgesehen davon erinnert das Gebäude mit seiner roten Backsteinarchitektur eher an die Industriebauten jener Zeit.

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Das kleine Leichenhaus.

Der Bau wurde wohl durch eine von der Stadt 1898 erlassene neue Begräbnisordnung notwendig, die u.a. festlegte, dass Verstorbene frühestens nach 48 Stunden beigesetzt werden dürfen und dass der Leichnam aus hygienischen Gründen nicht mehr in der privaten Wohnung verbleiben soll. Mit der Verordnung sollte sichergestellt werden, dass niemand in scheintotem Zustand lebendig begraben wird. Die jüdische Gemeinde musste sich dem fügen und von der traditionellen Begräbnispraxis abrücken, die Verstorbenen innerhalb von 24 Stunden zu bestatten.
Weiter sah die neue Verordnung eine Sargpflicht vor. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Verstorbenen, nur in Leinen gehüllt, ohne Sarg bestattet. Dies sollte zum Ausdruck bringen, dass im Tode alle Menschen gleich sind, egal ob sie im Leben arm oder reich waren. Die nun verwendeten Särge trugen dieser Einstellung Rechnung. Man benutzte schlichte Särge, die eher einfachen Holzkisten ähnelten, nicht die aufwändigen, teils prunkvollen Särge, die (je nach Finanzlage der Familien) bei christlichen Bestattungen verwendet wurden.
Die neue Ordnung schrieb ebenfalls vor, die Grabsteine auf der Vorderseite in deutsch zu beschriften. Dies führte dazu, dass sehr viele Grabsteine von diesem Zeitpunkt an zusätzlich auf der Rückseite hebräisch beschriftet wurden. Ältere, Grabstellen sind an der Beschriftung heute leicht als vor oder nach 1900 angelegt erkennbar. Für neuere Grabstellen gilt dies jedoch nicht, da diese Beschriftungsvorschrift heute nicht mehr besteht.

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Die Grabstätten:

Wer bislang nur die großzügigen, zum Teil parkartig angelegten christlichen und städtischen Friedhöfe besucht hat, wird über die Enge und die geringen Grababstände überrascht sein. Während auf den kirchlichen und städtischen Friedhöfen die Grabstellen nach ihrer Ablaufzeit neu belegt werden, sind die jüdischen Gräber für die Ewigkeit angelegt und dürfen nicht entfernt werden. Um den Begräbnisplatz möglichst lange nutzen zu können, ist diese enge Belegung also notwendig. Da der Friedhof langsam an seine Kapazitätsgrenze stößt und eine Erweiterung nicht mehr möglich ist, muss sich die Gemeinde in absehbarer Zeit Gedanken über einen neuen Friedhof machen.
Ins Auge fällt auch, dass die jüdische Begräbniskultur auf Blumenschmuck verzichtet. Die Grabstellen sind mit Steinen abgedeckt, oder mit Gras oder Efeu bewachsen.

Der Friedhof zählt über 2250 Grabstellen und ist in drei Felder aufgeteilt. Zwischen den Feldern verläuft jeweils ein befestigter Weg, der in gerader Linie bis zur hinteren Friedhofsmauer führt.
Feld 1, östlich gelegen, ist der älteste Teil. Die meisten Grabsteine sind aus Sandstein gefertigt und die ältesten teilweise schon so verwittert, dass die Inschriften nur noch schlecht oder gar nicht mehr lesbar sind.
Der Gang über den Friedhof zeigt auch gut die Änderungen in der "Grabsteinmode". Wurden bei den ältesten Gräbern noch schlichte Grabsteine benutzt, so finden sich in der Mitte des Feldes zunehmend säulenartige und aufwändiger gestaltete Steine. Im hinteren Teil des Feld 1 sind zunehmend Obelisken zu sehen, die auch das Feld 2 (heute als Mittelfeld bezeichnet) dominieren. Hier wurden aber bereits witterungsbeständigere, härtere Gesteine verwendet. Sind im Feld 1 noch vorwiegend die traditionellen Einzelgräber zu finden, sind im hinteren Teil des Mittelfelds vermehrt auch Familiengräber angelegt, teilweise recht aufwändig gestaltet. Besonders aufwändig gestaltete Familiengrabanlagen finden sich an der hinteren Friedhofsmauer. Die jüdische Gemeinde Magdeburgs war sehr liberal eingestellt und ließ später auch Urnenbestattungen zu.
Das Feld 3, der jüngste Teil, ist geprägt von den verschiedenartigsten Grabsteinen. Ein dominierender Stil ist hier nicht erkennbar. Im vorderen Teil, hier standen früher Gewächshäuser, finden die aktuellen Begräbnisse statt.

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Feld 1: Der älteste Teil des Friedhofs mit seinen schlichten Grabsteinen aus Sandstein im vorderen Teil.
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Feld 2 (Mittelfeld) mit den hier dominierenden Obelisken.

Bei einem Luftangriff in den 1940er Jahren schlug im Feld 1 eine Brandbombe ein. Einige Grabstellen wurden zerstört oder stark beschädigt. Auch die Friedhofsmauer und die Trauerhalle trugen Schäden davon. Nach Kriegsende begann die kleine verbliebene Gemeinde, die Schäden zu beseitigen. Wegen fehlender Mittel konnte dies jedoch nur nach und nach erfolgen. Die Reparaturen zogen sich über Jahre hin.

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Die drei Gedenkstätten:

Ehrenmal für die im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten der Gemeinde.
Die älteste der Gedenkstätten befindet sich im hinteren Teil des Mittelfeldes, nahe der rückwärtigen Friedhofsmauer.

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Ehrenmal für die im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten.

Die Inschrift in der Mitte des Ehrenmals lautet:
"Dem Andenken der im Weltkrieg 1914-1918 für das deutsche Vaterland gefallenen Söhne unserer Gemeinde".
Den First des darüberliegenden dachartigen Trägers ziert ein Davidstern. Darunter in hebräischer Schrift ein Zitat aus 2 Samuel 1: "Wir sind gefallen die Helden im Kriege...Leid ist mir um dich, mein Bruder". Rechts und links befinden sich je zwei Steinplatten, auf denen in alphabetischer Reihenfolge die Namen der 36 Gefallenen mit ihrem militärischen Rang aufgelistet sind. Die acht einzelnen Steine vor dem Ehrenmal wurden für Veteranen des Krieges aufgestellt, die später verstorben sind.
Einigen der Gefallenen wird auch mit Familiengedenksteinen gedacht. So verlor beispielsweise die Familie Salomon gleich zwei ihrer Söhne: Ernst war Kriegsfreiwilliger und fiel bereits kurz nach Kriegsbeginn am 09.11.1914 bei Wytschaete in Flandern. Er wurde nur 20 Jahre alt. Sein fünf Jahre älterer Bruder Walter, Leutnant d. R., Inhaber des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse und des Braunschw. Kriegsverdienstkreuzes, fiel wenige Wochen vor Kriegsende am 27.09.1918 bei Somme-Py (Frankreich) im Alter von 29 Jahren.


Gedenkstein für die Opfer der faschistischen Verfolgung:
Der Gedenkstein wurde in der Zeit der DDR direkt hinter dem südlichen Eingang, vor der Trauerhalle, errichtet.

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Gedenkstein vor der Trauerhalle

Am Kopf befindet sich zwischen zwei Davidsternen der Schriftzug "Frieden". Die leider nur noch schwer lesbare Inschrift lautet:

Die Toten mahnen!

Zum Gedenken der jüdischen Opfer,
die durch den brutalen faschistischen
Terror unter unsäglichen Leiden
gemordet und ermordet wurden.

Errichtet von der
Deutschen Demokratischen Republik

Der Hinweis auf den Errichter ist heute nicht mehr vorhanden, er wurde unkenntlich gemacht.


Gedenkstätte für die ermordeten Kinder.
Am Anfang des Mittelfeldes, nahe der Trauerhalle, befindet sich eine Gedenkstätte, die an die über 1.000.000 jüdischen Kinder erinnert, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden.

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Kindergedenkstätte.

Weitere Zeugnisse der Schoah sind auf Grabsteinen und Gedenktafeln zu finden. Hier zwei Beispiele:
Moritz und Käte Organek waren angesehene Bürger und betrieben ein Geschäft an der Halberstädter Straße. Beide wurden deportiert und 1942 im KZ ermordet. Kätes Mutter, Ida Weiss, kam nach Sudenburg, um den Nachlass zu regeln. Sie gab auch noch die Grabstätte in Auftrag. Ida wurde ebenfalls verhaftet und ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 ums Leben kam. Zum Gedenken wurden 2013 vor dem Hauseingang Halberstädter Straße 134, wo sich im Erdgeschoss auch das Geschäft der Organeks befand, Stolpersteine verlegt.
Über eine weitere tragische Geschichte berichtet der Grabstein der Familie Freiberg. Ella Therese Freiberg verstarb 1938. Ehemann Julius wurde gemeinsam mit Sohn Rolf, Schwiegertochter Ilse und deren zwei kleinen Kindern Gittel (4) und Denny (1) ins Warschauer Ghetto deportiert, wo sie alle ums Leben kamen.

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Gedenktafel für Familie Organek / Weiss
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Grabstein der Familie Freiberg.

Veröffentlichung der Fotos mit freundlicher Genehmigung der Synagogen Gemeinde zu Magdeburg K. d. ö. R.

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aktualisiert: 13.10.2015

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