Firmenblatt: | Bearbeitungsstand: 22.05.2023 |
Die Industrie- und Firmengeschichte Sudenburgs
Firmendaten:
Gründung - Ende: | 1890 - 1949 |
Gründer: |
Rudolf Commichau (* 18.04.1863 in Bialystok, † 14.12.1910 in Magdeburg)[2] Robert Gotthard Commichau (* 25.04.1864 in Antoniuk, † 04.01.1928 in Magdeburg)[2] |
Standort(e): | Braunschweiger Straße 98, Magdeburg-Sudenburg Ab 1905 Zweitwerk in Nestomitz bei Aussig (heute Tschechien) |
Produkt(e): | Transportanlagen, Transportschnecken |
Bemerkungen: | Über die Fabrik(en) ist bisher wenig bekannt. Es finden sich hauptsächlich Werbeanzeigen und Patentanmeldungen aus der Zeit zwischen 1890 und 1910. |
Firmenchronik:
- 1890 - [nach oben]
Gründung der Maschinenfabrik Gebrüder Commichau in Magdeburg-Sudenburg, Braunschweiger Str. 98.
Die Firmengründer sind Gotthard und Rudolf Commichau, älteste Söhne das Textilfabrikanten Robert Commichau (*09.08.1833 in
Elberfeld, † 06.02.1886 in Neustrelitz), der viele Jahre die Färberei der Firma "Herm. Commichau" zu Antoniuk bei
Bialystok leitete.[2]
Diverse Patente von Gotthard und Rudolf Commichau bezeugen die Innovativität des Unternehmens. Ihre Erfindungen zu Schmierung und Fördertechnik
lassen sie nicht nur im deutschen Reich, sondern zum Teil auch in England und den USA patentieren. In Fachbüchern und Lexika sind bis ca. 1910
immer wieder Maschinen und Innovationen der Commichaus beschrieben. Einige der Patente sind nachfolgend aufgeführt.
- 1890 - [nach oben]
29.05.1890: Patent: Gotthard Commichau reicht ein Patent über "Flexible Rohre" ein (D.R.P 55692), auch in England (1890) und den USA (1892).
21.06.1890: Patent: Gotthard Commichau patentiert ein "Drosselventil mit durch die Spannungsdifferenz sich stellendem Durchgangsquerschnitt" (D.R.P 56532)
- 1896 - [nach oben]
05.04.1896: Patent: Gebr. Commichau und C. Vogelsang patentieren eine "Hin- und herschwingende Horde zum Darren u.s.w." (D.R.P 93535)
- 1898 - [nach oben]
10.09.1898: Patent: Gebr. Commichau patentieren ein "Stummes Gesperre mit veränderlichem Vorschub." (D.R.P 105252)
- 1899 - [nach oben]
03.05.1899: Patent: Gebr. Commichau patentieren eine "Fördervorrichtung für kleinkörniges Gut." (D.R.P 107850)
21.11.1899: Patent: Gebr. Commichau patentieren ein "Verfahren zur Befestigung Schraubenförmiger Rippen bei Rippenrohren." (D.R.P 116609)
- Zusatz zum Patente 105803 vom 31. Juli 1898 -
- 1900 - [nach oben]
- 1903 - [nach oben]
17.07.: Patent: Rudolf Commichau patentiert ein "Saatleitungsrohr aus spiralförmigem Blechstreifen für Drillmaschinen." (D.R.P. 162538)
- 1905 - [nach oben]
Gründung eines Zweitwerkes in Nestomitz (Nord-Böhmen)
Die Gebrüder Commichau gründen ein zweites Werk in Nestomitz an der Elbe, nahe Aussig. Ort und Region gehören zu dieser Zeit zu Österreich-Ungarn.
Die Fabrik wird in einem alten Mühlenbetrieb eingerichtet, der dort erworben wurde. Fabrikdirektor wird Alfred Spahn, der zuvor (ab 1903) die
Firmenvertretung in Aussig leitete. Wie im Sudenburger Stammwerk werden auch in Nestomitz erfolgreich Transportanlagen produziert.[1]
Anm: Die Region gehört heute zu Tschechien. Nestomitz (Neśtěmice) ist heute ein Stadtteil von Aussig (Ústí nad Labem).
- 1905 - [nach oben]
17.06.: Patent: Gotthard Commichau patentiert eine "Brech-Mühle" (Zerkleinerungsmühle), zumindest in den USA.
- 1906 - [nach oben]
Eine Werbeanzeige von 1906 belegt auch das Zweitwerk in Nestromitz:
- 1907 - [nach oben]
Geschäftsführer Georg Becker verlässt das Unternehmen.
Becker absolvierte zunächst eine kaufmännische Lehre im Betrieb und stieg später bis zum Geschäftsführer auf.
1907 macht er sich mit einem Geschäft selbstständig und handelt mit Industrieketten und Elevatorbechern. 1911 gründet er
an der Sudenburger Wuhne die Maschinenfabrik Georg Becker & Co. und stellt sehr erfolgreich eigene
Transportanlagen her.
Aus Beckers Unternehmen geht die heute (Stand 2018) weltweit tätige Firma FAM (Förderanlagen Magdeburg) hervor.
Vor Becker hatte bereits Otto Storck (* 1879) den gleichen Weg bestritten (von wann bis wann ist allerdings unklar): Nach kaufmännischer Lehre
war er zum Prokuristen aufgestiegen. Storck verließ die Firma und durchlief weitere Arbeitsstellen, bis er schließlich 1905
er bei Rendsburg die Werft "Nobiskrug" gründete und sehr erfolgreich führte.
- 1910 - [nach oben]
Rudolf Commichau verstirbt.
Im Alter von nur 47 Jahren verstirbt Mitgründer Rudolf Commichau am 14.12.1910. Ein schwerer Einschnitt für das Unternehmen, das
hier einen seiner kreativen Köpfe verliert. Bruder Gotthard Commichau führt das Unternehmen als alleiniger Firmeninhaber weiter.
- 1911 - [nach oben]
Verkauf des Zweitwerkes
Nach dem Tod Rudolf Commichaus wird es stiller um das Unternehmen. Werbeanzeigen und Patentanmeldungen sind nicht mehr (?) zu finden.
Das Zweigwerk der Commichaus in Nestomitz wird verkauft. Fabrikdirektor Alfred Spahn, zuvor bereits stiller Teilhaber des Zweitwerkes,
wird Alleininhaber. Den Firmennamen behält Spahn bei, was eine undatierte Siegelmarke belegt:
Die Produktion wird unter dem neuen Eigentümer erfolgreich fortgeführt. 1912 lässt sich Spahn auf der Anhöhe hinter der Fabrik eine
auffällige, ungewöhnliche Villa errichten, die das nachfolgende Bild zeigt:
Die Fabrik produziert bis 1933, dann ist sie Pleite. Neben der Weltwirtschaftskrise war wohl auch Spahns ausschweifender Lebensstil dafür verantwortlich.
Spahn, pleite und auch unheilbar erkrankt, nimmt sich noch im selben Jahr während eines Kuraufenthaltes bei Dresden das Leben. Er hinterlässt
neben Frau und zwei Kindern einen riesigen Schuldenberg von über 6 Millionen Kronen. [1]
- 1914 - [nach oben]
Eintrag im Mitgliederverzeichnis 1914 des VDI:
Commichau, Gotth., Fabrikant, Magdeburg-Sudenburg, Braunschweiger Str. 98
- 1923 - [nach oben]
Schwester Stephanie wird Prokuristin.
Gotthard Commichaus Schwester Thea Stephanie Commichau (* 12.06.1869 in Antoniuk, † 18.12.1952 in Magdeburg)
tritt als Prokuristin ins Unternehmen ein.[2]
- 1926 - [nach oben]
Bruder Otto Commichau tritt in die Firma ein.
Gotthard Commichaus Bruder Otto Ernst Moritz Commichau (* 31.07.1872 in Antoniuk, † 07.02.1946 in Magdeburg)
tritt ins Unternehmen ein und übernimmt den Prokuristenposten von Schwester Stephanie.[2]
Neben Otto Commichau ist Erich Schenk als weiterer Prokurist im Handelsregister eingetragen. [Adr 1927 und 28]
Anm.: Die Firma wird im Adressbuch nur noch mit dem Text "Maschinenfabrik Gebrüder Commichau" geführt. Es gibt keine Hinweise auf die Herstellung von Förderanlagen.
Auch sind keine aufwändigeren Werbeanzeigen im Adressbuch vorhanden. Es ist unklar, was die Fabrik zu dieser Zeit produzierte.
- 1928 - [nach oben]
Gotthard Commichau verstirbt.
Firmengründer Gotthard Commichau verstirbt am 04.01.1928 im Alter von 63 Jahren.[2]
Neuer Firmeninhaber wird zunächst Bruder Otto, der 1929 auch als alleiniger Eigentümer des Grundstücks
Braunschweiger Straße 98 geführt ist. [Adr 1930]
- 1929 - [nach oben]
Magdeburger Adressbuch 1930:
Braunschweiger Str. 98
Eigentümer: Commichau, Otto, Kfm.
Commichau, Gebr., Maschinenfabrik
Kleinschmidt, O., Automobilreparat. Werkstatt
Anm.: Die Autowerkstatt von O. Kleinschmidt wurde nur kurz auf dem Grundstück betrieben, max. bis 1931.
- 1931 - [nach oben]
Spätestens 1931 haben sich die Eigentumsverhältnisse geändert:
Schwester Antonie Margarete Commichau (* 04.08.1870 in Antoniuk, † 07.08.1952 in Magdeburg)[2] ist
mit in die Firma eingestiegen.
Eigentümer von Haus und Grundstück, sowie selbsthaftende Gesellschafter der Maschinenfabrik Gebr. Commichau sind nun die drei Geschwister
Antonie, Stephanie und Otto Commichau. [Adr 1932]
- 1939/40/42 - [nach oben]
Magdeburger Adressbuch 1939, 1940 und 1942: Braunschweiger Str. 98
Gebrüder Commichau, Maschinenfabrik
Eigentümer:
E. Commichau, Antonie, Frl.
E. Commichau, Otto, Kfm.
E. Commichau, Stephanie, Frl.
(Busse, M., Ww)
- 1936/40/42 - [nach oben]
Magdeburger Adressbuch 1936, 1940 und 1942, Handelsregister:
Gebrüder Commichau, Maschinenfabrik
Braunschweiger Str. 98, Persönlich haftende Gesellschafter:
Frl. Stephanie Commichau,
Frl. Antonie Commichau,
und Otto Commichau.
- 1945 - [nach oben]
Kriegsende
Mit der Eroberung Magdeburgs durch Amerikanische Truppen, enden am 18.04.1945 im Westteil Magdeburgs die Kriegshandlungen
des 2. Weltkriegs. Über größere Schäden an Haus und Fabrik ist nichts bekannt.
- 1946 - [nach oben]
Otto Commichau verstirbt.
Am 07.02.1946 verstirbt der Kaufmann und Mitinhaber Otto Commichau im Alter von 73 Jahren.[2]
Nach dem Tod Ottos werden Grundstück und die Maschinenfabrik wahrscheinlich verkauft. Das Antonie (75 Jahre alt) und Stephanie
Commichau (76 Jahre alt) die Maschinenfabrik alleine weiterführten, ist unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass alle fünf Geschwister
unverheiratet blieben und daher auch kein direkter Nachfolger für eine Weiterführung zur Verfügung stand.
Wann genau der Verkauf stattfand, ist unklar. Im Adressbuch 1950/51 ist als neuer Grundstückseigentümer der Ingenieur O. Schmidt geführt,
der unter eigenem Namen eine Maschinenfabrik auf dem Grundstück betreibt.
- 1949 - [nach oben]
Löschung aus dem Magdeburger Handelsregister.[2]
Nach 59 Jahren ist die Geschichte der Maschinenfabrik Gebr. Commichau vorbei.
- 1950 - [nach oben]
Magdeburger Adressbuch 1950/51: Braunschweiger Str. 98
Neuer Eigentümer von Grundstücks und Maschinenfabrik ist nun der Ingenieur O. Schmidt. Unter dessen Namen
wird auch die Maschinenfabrik weiter betrieben. (s. Teil IV, S. 59: Maschinenfabriken: Schmidt, O., Braunschweiger Str. 98.
"Commichau, St." ist als Mieterin aufgeführt. Wahrscheinlich wohnte sie mit Antonie zusammen, da diese im Adressbuch nicht separat geführt wird.
Neben O. Schmidt und St. Commichau sind noch 6 weitere Mietparteien an der Adresse Braunschweiger Straße 98 gemeldet.
Branchenverzeichnis:
Dachziegel: Fabriken: Sichtig, O., Braunschweiger Str. 98
Elektrische Licht- und Kraftanlagen: Jacobs, O., Braunschweiger Str. 98
Maschinenfabriken: Allgemein: Schmidt, O., Braunschweiger Str. 98
- 1952 - [nach oben]
Antonie und Stephanie Commichau versterben.
Beide Commichau-Schwestern versterben kurz hintereinander: Antonie am 07.08.1952 im Alter von 82 Jahren, Stephanie am 18.12.1952, im Alter von 83 Jahren.[2]
- >=1964 - [nach oben]
In "Kleines Taschenadressbuch der Bezirkshauptstadt Magdeburg" ist verzeichnet:
Maschinenbau Süd - Büro und Betriebsteil Braunschweiger Str. 98
Gr. Diesdorfer Str. 203 [Ecke Westring, 1950 Eigent. M. Jarisch, div. Nutzer/Mieter, u.a.
M. Jarisch & Co., Pumpenfabrik, Jarisch & Schönherr, Bahnmaterial]
Cochstedter Str. 7-11 [heute Hakeborner Str., Grundstück von F. C. Wilh. Schmidt jun,
chem. techn. Erzeugn., 1950 befand sich dort u.a. der "Lagerplatz Rohstoffgenossensch. f. d. Eisengewerbe eGmbH"]
Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH)
Bau: Ackerstraße 2
- Betonwerk: Braunschweiger Str. 98
Info: Das Erscheinungsjahr des Taschenadressbuchs ist unklar. Frühestens 1964, spätestens 1970.
Von O. Schmidt, dem Eigentümer von 1950, findet sich darin nichts mehr. Die inzwischen dort ansässige "Maschinenbau Süd"
scheint eine Art PGH zu sein, also ein Zusammenschluss mehrerer Firmen.
Welche sich zusammengeschlossen haben, bzw. wurden, ist noch zu Klären.
- 1994 - [nach oben]
"Das blaue Adressbuch Stadt Magdeburg 1994/95" gibt nur wenig Informationen:
Braunschweiger Str. 98:
Bothe & Jagusch GmbH
HESI Baubedarf GmbH
Thalen Consult GmbH
Quellen:
- [1] - Artikel: Martin Krsek, "Villa Alfred Spahn" auf www.usti-aussig.net.
- [2] - M. A. Commichau, Suhl / Deutsches Geschlechterbuch, Band 215 (Oberschlesisches Geschlechterbuch, 2. Band)
- [Adr] - Magdeburger Adressbücher 1927, 1928, 1930, 1932, 1936, 1939, 1940, 1942 und 1950/51. Die Datenerhebung erfolgte jeweils im Vorjahr des Erscheinens.
Stand heute:
Erhalten ist das von der Straße zurückgesetzte, zweigeschossige, heute sanierte ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Commichaus in der Braunschweiger
Str. 98, mit seinem linksseitigen Anbau.
Das Fabrikgelände lag hinter dem Wohngebäude, begrenzt von den Bebauungen am Eiskellerplatz, der Rottersdorfer Straße und
der Braunschweiger Straße. Die Zufahrt befand sich rechts neben dem Wohnhaus, an der Braunschweiger Straße. Von den alten
Fabrikgebäuden ist nicht mehr viel erhalten. Eine alte, aus Ziegelmauerwerk errichtete Fabrikhalle dürfte
noch ein Überbleibsel sein. Heute wird darin die "Markthalle" (Rottersdorfer Str. 1b) betrieben. Auf dem ehemaligen Fabrikgelände
ist eine KFZ-Reparaturwerkstatt angesiedelt.
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