Die Industrie- und Firmengeschichte Sudenburgs
Nach Kriegsende setzten die Sudenburger Betriebe ihre Arbeit
hoffnungsvoll fort. Die von den neuen Machthabern eingeführten
politischen und wirtschaftlichen Veränderungen bekam die
Sudenburger Wirtschaft jedoch schnell zu spüren. Aus Arbeitern
wurden "Werktätige", Arbeitsgruppen zum "Kollektiv".
Propagandistisch war man jetzt "antifaschistisch", was auch in
Sudenburg zu merkwürdigen Namensgebungen führte. Ein
schönes Beispiel ist die "Antifaschistische Stenografengruppe
Magdeburg-Sudenburg", die kurz nach Kriegsende so benannt wurde. Auch
der Begriff "Frieden" bekam propagandistisch einen extremen
Stellenwert. Die Wohnsiedlung Georgshöhe hieß nun
plötzlich "Friedenshöhe", die Werktätigen produzierten
für den Frieden und selbst der öffentliche Nahverkehr fuhr
nun für den Frieden.
Für die größtenteils in Privatbesitz befindlichen
Sudenburger Fabriken und Betriebe blieb es jedoch nicht bei verbalen
Änderungen. Das neue Wirtschaftssystem nach sowjetischem Vorbild
wurde brutal durchgesetzt. Die größeren Privatbetriebe
wurden nach und nach verstaatlicht und ihre Besitzer enteignet. Dies
traf nicht nur durch die NS-Zeit belastete Firmeninhaber, sondern auch
Solche, die sich politisch nichts hatten zu Schulden kommen lassen.
Besonders hervorzuheben sind folgende Enteignungen:
1949 - Der Transportanlagenbauer Georg Becker.
1953 - Der Mühlenbetrieb der Familie Drenckmann, seit vier
Generationen in Familienbesitz.
Die Drenckmanns hatten sich durch ihr Engagement für Sudenburg
viele Verdienste erworben. Für die neuen Machthaber zählte
dies jedoch nichts. Der Betrieb wurde als Werk III in das Kombinat
Magdeburger Mühlenwerke eingegliedert. Nach der Enteignung
wandte Gottfried Drenckmann, letzter Inhaber und Urenkel des
Firmengründers W.A. Drenckmann, Sudenburg den Rücken und
übersiedelte mit seiner Familie in den Westen. Er starb 1977 und
wurde auf der Familiengrabstätte auf dem Alten Sudenburger
Friedhof beigesetzt.
Georg Becker traf es noch schlimmer. Er wurde denunziert, verhaftet und
angeklagt. Zur Last legte man ihm die Lieferung einer Transportanlage
nach Itzehoe (Schleswig-Holstein). Diese Anlage war bereits vor
Kriegsende fertig gestellt worden, konnte jedoch wegen der Kriegswirren
nicht früher ausgeliefert werden. Obwohl vom Gericht
freigesprochen, erholte sich Becker nicht von den seelischen und
körperlichen Folgen seiner Inhaftierung. Verbittert verstarb er
1953. Auch seine Grabstelle befindet sich auf dem Alten Friedhof. Im
Jahr 2006 ehrte ihn die Stadt Magdeburg mit der Benennung der
Georg-Becker-Straße in Sudenburg.
Die Konserven und Nährmittelfabrik Albert Drevenstedt & Co.
konnte zunächst weiter produzieren. Nach dem Tod von Drevenstedts
Tochter Ingeborg John (1970), die den Betrieb zuletzt führte,
strecke der Staat jedoch auch hier seine Finger aus. Auch die
Familiengrabstätte der Drevenstedts wird auf dem Alten Friedhof in
Ehren gehalten.
Die enteigneten nun "volkseigenen" Betriebe wurden häufig mit
ähnlich gelagerten Betrieben zu Kombinaten zusammengeschlosen.
Durch eine neue, sozialistische Namensgebung für die Betriebe und
Kombinate verschwanden auch die traditionellen Firmennamen. Hier einige
Beispiele:
Die "Maschinenfabrik Georg Becker & Co." wurde mit der
„Sudenburger Maschinenfabrik Emil Wieger“ und „A. W.
Mackensen“ (Neue Neustadt) zum VEB Schwermaschinenbau 7.
Oktober zusammengelegt und produzierte nun an zwei Standorten
Transportanlagen. Der Sudenburger Standort lag weiterhin an der
Sudenburger Wuhne.
Die von Dummer und Döring (Langer Weg 52) gegründete Brauerei
produzierte als VEB Sudenburger Brauhaus weiter und behielt so
zumindest den traditionellen Markennamen bei.
Die "Essenzenfabrik Seldte & Co.", Langer Weg 46, wurde zum VEB
Chemisches Kombinat Miltitz, Betriebsteil EMA Magdeburg.
Aus "Fritz W. Richter's Fabrik Ätherischer Öle, Essenzen und
Chemischer Produkte" in der Lutherstraße 1/2 wurde der VEB
Esparma Magdeburg, Chemisch-pharmazeutischen Fabrik.
Vielen Betrieben wurden staatliche Beteiligungen aufgezwungen und die
ursprünglichen Besitzer so entmachtet und zum Teil
herausgedrängt. Diese Praxis zog sich herunter bis in die kleinen
Einzelhandelsgeschäfte. Wer diese staatlichen Beteiligungen
ablehnte und weiter privat wirtschaften wollte, hatte bei
Behörden, Waren- und Materialbeschaffung einen schweren Stand und
Benachteiligungen auszustehen.
Weitere staatseigene Sudenburger "Arbeitgeber" der DDR-Zeit:
1951 bezog der VEB Brauerei- und Kellereimaschinen (BKM, VEB
Kombinat Nagema) das Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik
von E. Bendel in der Fichtestraße 29a, der seine Produkte nicht
nur in den östlichen, sondern auch in den westlichen Markt
exportierte.
Der VEB Starkstrom-Anlagenbau Magdeburg (VEB Kombinat
Elektroenergie-Anlagenbau) siedelte sich auf dem ehemaligen
Werksgelände der Maschinenfabrik von Röhrig & König
an der Blankenburger Straße 58-70 an. Dort fanden bis zu 1.800
Personen Beschäftigung.
Der VEB Leichtbauelemente Magdeburg an der Sudenburger Wuhne 29/30.
Der VEB Chemiehandel zwischen Walmbergsweg und Brenneckestraße.
Während sich die Wirtschaft der westlichen Bundesrepublik mit
Hilfe der Amerikaner schnell erholte, musste der wirtschaftliche
Wiederaufbau von der DDR aus eigener Kraft gestemmt werden. Erschwert
wurde dies durch Demontagen ganzer Fabrikanlagen durch die Sowjetunion
und wegbrechen des westlichen Marktes durch den Kalten Krieg. Die
Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der wirtschaftlichen und
politischen Situation der Nachkriegsjahre gipfelte im
niedergeschlagenen Volksaufstand des 17. Juni 1953 und einer
massenhaften Abwanderungswelle in den Westteil Deutschlands. Um die
Abwanderung zu stoppen wurde 1961 zu einem drastischen Mittel
gegriffen: Der Bau der Berliner Mauer und die Grenzsperranlagen gegen
den Westen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten bereits 3-4 Millionen
Menschen der DDR den Rücken gekehrt.
Der Aufbau der sozialistische Planwirtschaft bot den Bürgern auf
den ersten Blick zwar Vollbeschäftigung, gute Kinderbetreuung,
geringe Mieten und günstige Grundnahrungsmittel, konnte aber
gravierende Probleme nicht überwinden. Fehlende Recourcen,
Material- und Devisenmangel wurden nach und nach deutlich sichtbar.
Dringende Investitionen in die Betriebe, die Infrastruktur und den
Altbaubestand wurden aufgeschoben oder unterblieben. Der Zustand vieler
Betriebe und Altbauten verschlechterte sich zusehends. Sudenburg machte
hier keine Ausnahme. Eine Vielzahl der staatlich gestützten
Betriebe fiel langsam hinter das Weltmarktneveau zurück, der Staat
selber lebte über seine Verhältnisse und verschuldete sich
zunehmend. Als in den Wendejahren 1989/90 auch noch der östliche
Markt einbrach und sich die Betriebe nach der Wiedervereinigung im
Weltmarkt messen mussten, brach die ostdeutsche Wirtschaft in
großen Teilen zusammen.
aktualisiert: 11.12.2014
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